Nehmen nur dumme Kinder Nachhilfe?

"Ich habe meine Schulzeit ohne Nachhilfe bewältigt!" - "Wenn man Nachhilfe braucht, dann hat man nichts auf dem Gymnasium verloren!" - "Zu meiner Zeit..." - "Ich habe noch nie so eine dumme fünfte Klasse unterrichtet!" - "Sind die Noten für das Übertrittszeugnis mit Hilfe von Nachhilfe entstanden, wird diese Nachhilfe auch die weiteren Jahre – wahrscheinlich in mehreren Fächern – notwendig sein."

Solche und viele ähnliche Aussagen höre ich oft von verschiedenen Menschen und auch von Schülern, die sich manchmal ein bisschen schämen, dass sie Nachhilfe brauchen. 

"Ich habe meine Schulzeit ohne Nachhilfe bewältigt!"

Ja, dieser Erwachsene ist sicher sehr klug und fleißig gewesen in seiner Schulzeit, er vergleicht sich mit den heutigen Kindern und sieht sich in einem so guten Licht. Irgendwie süß. 
Ich habe meine Schulzeit auch ohne Nachhilfe bewältigt. Es war aber die Zeit von 1999-2006, an einem Nürnberger Gymnasium in der Südstadt. Jetzt würde ich die Schulzeit nicht mehr ohne Nachhilfe bewältigen, weil die Schule sich verändert hat und - Überraschung! - auch die Zeit. 


"Wenn man Nachhilfe braucht, dann hat man nichts auf dem Gymnasium verloren!" 

Etwa 70 Prozent der Kinder, die den gymnasialen Abschluss machen, haben nach Ansicht der Lehrer nichts auf dem Gymnasium verloren. Trotzdem sind sie dort und wollen dort bleiben, weil sie mit einem Abitur die besten Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben. Die Nachhilfelehrer erniedrigen ihre Schüler wenigstens nicht mit solchen Aussagen, sondern respektieren ihre Wünsche. 

"Zu meiner Zeit..."

Ja, früher war alles besser. Die Jugend von heute ist verdorben und verloren, die Jugend wird die Menschheit zu Grunde richten.
Das haben schon Zeitgenossen von Sokrates gesagt. Eine brandneue Idee. 


"Ich habe noch nie so eine dumme fünfte Klasse unterrichtet!" 

Vielleicht erkennen Sie nur die andersartige Intelligenz der neuen Generation nicht? Sollte es Sie nicht stutzig machen, Herr Kollege, dass Sie 25 bis 30 junge Menschen als "dumm" bezeichnen, ohne mit der Wimper zu zucken?

"Sind die Noten für das Übertrittszeugnis mit Hilfe von Nachhilfe entstanden, wird diese Nachhilfe auch die weiteren Jahre – wahrscheinlich in mehreren Fächern – notwendig sein."
Erstens stimmt es sachlich nicht. Viele Kinder brauchen die Nachhilfe nur für den Übertritt und dann nicht mehr.

Zweitens:
Ja ne, eine Katastrophe! Eltern aus einfacheren Verhältnissen, die beide selbst keine Akademiker sind, leisten sich einen akademisch ausgebildeten Privatlehrer, der die Lücken ihres Kindes schließt. Das ist Betrug! Das Kind muss alles selbst schaffen! (Selbstständig in der vierten Klasse!) 
Ich selbst bin natürlich besser als die Nicht-Akademiker, leiste quasi Nachhilfe umsonst, und kann meinem Kind auch alles beibringen, aber die Kinder der Nicht-Akademiker sollen gefälligst nicht betrügen, keinen Nachhilfelehrer bekommen und auf dem Niveau bleiben, wo ihre Eltern waren. Nichts sozialer Aufstieg! 


Liebe sozial starke Eltern, bitte denken Sie daran, wenn Sie solche Sprüche anbringen, dass Sie Ihre eigenen Kinder von klein auf bilden, dass Sie ihnen vorlesen, dass Sie mit ihnen fördernde Spiele spielen, dass Sie Ihren Kindern Ihre Bildung weitergeben. Sie erschaffen die Umgebung, in der Ihr Kind gefördert wird, nicht Ihr Kind selbst. 
Deshalb braucht Ihr Kind auch keine Nachhilfe, um an ein Gymnasium überzutreten, und nicht deswegen, weil Ihr Kind begabter ist als ein Arbeiterkind. Es gibt aber viele Kinder, die in Arbeiterfamilien aufwachsen, deren Eltern nicht lesen und viele Dinge nicht wissen. Diese Kinder haben es aber auch verdient, auf ein Gymnasium zu gehen, wenn sie es bei entsprechender Förderung schaffen. Und sie haben es verdient, solche herabsetzenden Sprüche nicht zu hören. Es sind Kinder, die etwas lernen wollen. 

Der letzte Spruch ist im Übrigen ein Zitat aus der Präsentation eines Nürnberger Gymnasiums, die auf dem Vorstellungsabend des Gymnasium gezeigt wird. Dieses Gymnasium hat vor zwei Jahren nur sehr geringe Anmeldezahlen im stadtweiten Vergleich vorweisen können. Warum wohl?! Vielleicht sollte diese Schule selbst ein bisschen Nachhilfeunterricht nehmen, was den Umgang mit Kunden angeht. Denn eine Schule ist ein Dienstleister, der vom Staat finanziert wird. Nichtsdestotrotz - nur ein Dienstleister. 

 

Gefunden auf http://nachhilfehilfe.lernfabrik-nuernberg.de/